Sorgen und die Suche nach Schneeglöckchen

Es gibt ja so Zeiten, in denen alles irgendwie schwierig ist. Am Arbeitsplatz läuft viel in die falsche Richtung, in Partnerschaft und Familie kriselt es, die eigene Gesundheit war auch schon mal besser und in den Nachrichten gibts nur Katastrophen.

Diese Kombination höre ich relativ häufig und es ist für viele Menschen dann eine echte Herausforderung, den Kopf oben zu halten.

Natürlich ist es wichtig, sich diesen Problemen zu stellen, an Lösungen zu arbeiten und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Aber manchmal reichen die Kraft und der Mut und die Zuversicht einfach nicht aus, um ständig zu kämpfen.

Eine Patientin in so einer Lage hat vor einigen Tagen zu mir gesagt:

„Aber wenigstens habe ich jetzt draußen schon die ersten Schneeglöckchen gesehen.“

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Herbstlaub und Frühlingsblumen

In diesen wenigen Worten steckt eine Menge Potential zum Umgang mit „schlechten Zeiten“.

Schneeglöckchen und ganz allgemein Frühlingsblüher haben tatsächlich auf viele Menschen eine sehr positive Wirkung. Die kalte Jahreszeit zieht sich allmählich zurück, neues Leben sprosst, Erinnerungen an die eigene Kindheit werden wach. Auch wenn diese vielleicht nicht schön war, sind Krokusse, Hyazinthen und Märzenbecher meist in guter Erinnerung. Sie haben etwas Unbezwingbares, Mutiges, Schönes.

Auch wenn keine dieser Blumen in der näheren Umgebung wachsen, so stimmt die Symbolik trotzdem, und zwar in zweifacher Hinsicht:

  • „Rausgehen“
  • Gezieltes Aufsuchen positiver Aspekte des Lebens

Der erste Punkt meint, dass wir im Geiste ein paar Schritte zurück gehen sollten, wenn sich wieder einmal alles gegen uns verschworen zu haben scheint. Dieses „Rausgehen“ aus der Situation gibt Überblick und öffnet die Sichtweise für die an sich fast immer auch noch irgendwo vorhandenen schönen Aspekte des Lebens, die wir nicht mehr sehen können, weil wir so dicht vor unseren Problemen stehen.

Der zweite Punkt weist darauf hin, dass wir das nur schaffen werden, wenn wir aktiv sind und gezielt nach den schönen Dingen suchen.

Die Erfahrung zeigt, dass sich viele Menschen dagegen wehren, nach Schneeglöckchen zu suchen, wenn es ihnen schlecht geht. Sie argumentieren, sie wollten sich nichts „schönreden“ und nicht so tun, als sei alles in Ordnung. Aber das ist zu einseitig gedacht. Die Sorgen für einen Spaziergang beiseite zu schieben, heißt nicht, sie zu ignorieren, sondern den Mut zu haben, auch in schwierigen Zeiten den Überblick zu behalten.

Als Gegenpol zum Düsteren, Belastenden und Überkommenen sind Frühlingsblumen einfach unschlagbar.

alt und neu

alt und neu

hell und dunkel

hell und dunkel

Peter Teuschel

12 Responses
  1. Schöne Gedanken und schöne Fotografien beschert uns hier der Herr Teuschel.
    Danke!
    Die Friedhofsblümchen wirken auf mich besonders aufbauend.

    Viele Grüße

    Fritz G.

  2. Lieber Peter, das ist ein besonders schöner, poetischer und weiser Beitrag mit wundervollen Fotos, ich hoffe, dass er viel gelesen wird! Herzlicheen dank und liebe Grüße Wulf

  3. Danke auch von mir.
    Diese kleinen zarten Blumen in ihrem nicht endenden, strahlenden Weiß, oder ihren frischen bunten Farben erfreuen die Sinne. Mit ihnen erwacht die Vorfreude auf hellere und wärmere Tage. Ich habe einen Strauß Tulpen auf den Tisch gestellt. Eine sinnliche und wärmende Augenweide, ganz besonders bei stundenlangen Regengüssen und trüb-grauen Tagen.

    Schöne Grüße
    maro

  4. Einer Ihrer schönsten Texte, Herr Teuschel, wie ich finde. Ein Text zum Ausdrucken und immer wieder mal lesen . Vielen Dank!

  5. Die Macht und die Sprache der Blumen, oder die Macht der Sprache der Blumen und dazu ein Zitat von Herbert Achternbusch: „Wenn ich auf die Tastur eines Computers ein Gänseblümchen lege, hat der PC keine Möglichkeit zu antworten.“

  6. Nach zwei Todesfällen binnen drei Wochen bin auch ich sehr froh, dass die Schneeglöckchen und Krokusse hordenweise aus dem Boden schießen, so dass sie nicht zu übersehen sind, egal wie verhangen der eigene trübe Blick auch sein mag!
    Ich nehme das im Moment v.a. als Zeichen, dass das Leben weitergeht und immer noch farbenfrohe Aspekte birgt.

    Danke auch von mir für Ihren Beitrag und den Aufruf, immer wieder nach dem Schönen zu suchen (das ja oft am Wegesrand zu finden ist) und rauszugehen (was ich dank meines Hundes sowieso täglich machen darf/muss, Sorgen hin oder her).

    Herzliche Grüße von Rosalita

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